Am Anfang...

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# Theologie

Am Anfang...

Liebe Gemeinde, Hauptsache, wir beginnen vorn!

Man kann das als ein Vorhaben hören: “Es kommt darauf an, dass es am Anfang  um das geht, was zuerst geschehen ist, und erst danach um das, was sich daraus entwickelt hat.”

Man kann es aber auch als schlichte Beschreibung hören, mit einem Doppelpunkt nach dem ersten Wort: Die Hauptsache ist die erste Angelegenheit, was nichts anderes bedeutet, als dass wir am Anfang beginnen und nicht irgendwo zwischendrin. Das wäre ja auch verwirrend.

Rosh - ich sagte es bereits - bedeutet “Kopf” im Sinne von “Haupt” oder auch im Sinne von “Beginn”, “Anfang”.

Ro ha shannah - Neujahr.

Hoffen wir, dass wir einen guten Anfang erwischen, einen “guten Rutsch”, und dass es danach ebenso gut weitergeht in diesem Jahr, an dessen Beginn wir stehen!

In der Bibel geht man davon aus, dass der Mensch sich erhobenen Hauptes fortbewegt. Deshalb ist der Kopf, auch wenn er überraschenderweise gerade nicht das Denkzentrum darstellt, der höchste Punkt am aufrecht stehenden Menschen und insofern die Hauptsache oder der Gipfel von allem. Auf Menschen bezogen, die man als “Häupter” bezeichnet, reden wir von den wichtigsten Leuten, den Anführern, den Bossen.

Wie wir noch heute - meist als Frage und negativ  - formulieren, hat schon im Alten Testament ein weiser Mensch “Augen im Kopf”. - Und wo hast du deine?

Während wir uns im Anklang an Luthers Übersetzung der Schöpfungsgeschichte angewöhnt haben, von soundsovielen “Seelen” zu sprechen, die etwa in “Unterleuten” leben, obwohl man schlicht auch “Lebewesen” sagen könnte, zählen die Bibel und wir modernen Menschen deutscher Sprache übereinstimmend, wenn wir Menschenmengen erfassen wollen, deren Köpfe.

Wir ermitteln den Pro-Kopf-Verbrauch auch bei solchen Konsumgütern, die wir gar nicht verzehren, also in den Mund stecken, der nun einmal im Kopf angesiedelt ist, und sogar, wenn es um den Bedarf an - sagen wir: Toilettenpapier - geht. Alternativ und weil Variation uns erfreut, können es auch mal soundsoviele Paar Schuhe pro Nase sein, die im Durchschnitt jährlich abgenutzt werden.

In der Bibel wird das anders akzentuiert, aber wir reden davon - und wissen dann auch, wie es gemeint ist -, dass “jeder seinen eigen Kopf” hat. Das klingt, finde ich, ein wenig nach “Der Mensch denkt, Gott lenkt”, aber, wie schon gesagt, wir Heutigen wissen zwar das Hirn für das Denken verantwortlich und sind uns dessen bewusst, dass dieses hauptsächlich in unseren Köpfen beheimatet ist, aber hier haben wir einen signifikanten Unterschied zum Sprachgebrauch der Bibel, in der nicht von Kopf und Herz, sondern von Herz und Nieren die Rede ist, wenn es um sowohl den Verstand als auch die Gefühle geht.

Gleichwohl spielen die Köpfe der biblischen Hauptpersonen immer eine große Rolle, sei es, dass sie gesegnet werden oder gar gesalbt, also mit Öl übergossen, so wie das ausgerechnet eine Sünderin mit Jesus macht; sei es, dass sie sich neigen in Demut zum Zeichen ihrer Reue für falsches Tun, sei es gar, dass man ihnen das Haupt abschlägt als ein Erleiden im Krieg oder als Form der Todesstrafe.

Das können dann auch schon mal 70 auf einen Streich sein wie bei König Jehu, der sämtliche Nachkommen seines Vorgängers Ahab enthauptet, weil diese in Israel den Baalskult eingeführt hatten und nicht bereit waren, auf Gottes Weisung zu hören.

Kein Pardon gibt es auch für den “Kopf der Schlange” oder “des Tieres” - diese müssen mit aller Konsequenz zertreten werden, wenn die Bestien ihr Haupt erheben, um Niedertracht zu säen und die Herrschaft des Bösen anzutreten, sonst: Wehe!

Wird in der Bibel der Kopf geschüttelt, so ist das mehr als eine Verneinung: Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf, beklagt der Beter des 22. Psalms die Verachtung, die ihm entgegenschlägt, und sucht seinen Trost bei Gott.

Ein Mächtiger vermag den Kopf eines Erniedrigten zu erheben - so im Traum des Mundschenks, von Joseph gedeutet als Begnadigung durch den Pharao mit den Worten: Nach drei Tagen wird der Pharao dein Haupt erheben und dich wieder in dein Amt setzen. Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn jemand von sich aus den Kopf hebt - das muss nicht, aber es kann Hochmut bedeuten.

Überschwenglich preist der Psalmist Gott dafür, dass er ihn, den Tiefgebeugten, wieder aufblicken lässt: Du bist meine Ehre und erhebst meinen Kopf, lobt der Beter des 3. Psalms, und im Lukasevangelium erklingt im Hinblick auf das Anbrechen der Endzeit die freudige Aufforderung: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!

Wo wir in der Adventszeit eher zurückhaltend singen: “Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!”, da klingt es im zugrundeliegenden Psalm 24 weitaus pathetischer: Erhebt, ihr Tore, eure Häupter, erhebt euch, ihr uralten Pforten, dass einziehe der König der Herrlichkeit.

Wenn jemand im Alten Testament “sein Haupt verhüllt” oder gar “Asche auf sein Haupt” streut, dann befindet er sich entweder in einer akuten Trauerphase, in der dann auch die Kleidung zerrissen und ein “Sack angelegt” wird, oder jemand steht sozial isoliert da und wendet sich von den Blicken der anderen ab.

Das betrifft auch den Kopf der Frauen im Gottesdienst. Wohl, um sich von der jüdischen Tradition zu unterscheiden, der zufolge es Männern vorgeschrieben ist, beim Gottesdienst eine Kopfbedeckung zu tragen, gibt es an mehreren Stellen im Neuen Testament die Forderung, dass Frauen ihr Haar bedecken sollen - so etwa 1. Korinther 11: Eine Frau, die ihren Kopf nicht bedeckt, sollte so konsequent sein und sich auch die Haare abschneiden lassen. Nun ist es aber doch entehrend für eine Frau, kurzgeschnittenes Haar zu haben oder völlig kahlgeschoren zu sein. Folglich soll sie auch eine Kopfbedeckung tragen.

Das, freilich, ist keine Haupt-, sondern eine Nebensache, jedenfalls für moderne aufgeklärte Menschen.

Kahlgeschoren wie Huren in der Antike hat man allerdings noch im 20. Jahrhundert solche Frauen, die nicht den gängigen Moralvorstellungen entsprachen, etwa jene, die eine Liebesbeziehung zu einem Kriegsgefangenen unterhielten.

Sowohl im ersten Korintherbrief als auch im Kolosser- und im Epheserbrief wird Christus das Haupt der Gemeinde genannt und an mehreren Stellen eine Analogie hergestellt zwischen dem Haupt, das über der Gemeinde steht, Christus, im öffentlichen Raum und auch in der Kirche auf der einen Seite und auf der anderen Seite, im Privaten, dem Mann, der über der Frau stehe.

Das war damals - ach, was heißt “damals”?! - das war bis vor Jahrzehnten in Deutschland trotz dem Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes noch vorherrschendes Denken, und noch in der Gegenwart gibt es ein Gender-Gap bei den Einkommen.

Ich wurde in meiner ersten Pfarrstelle vor rund 30 Jahren von einem Evangelikalen dazu aufgefordert, die - wie er sich ausdrückte - “gute christliche Lehre von der Ehe” von der Kanzel herab zu entfalten.

Ich fragte nach, was er darunter verstehe, und es kam genau das, was ich gerade skizziert habe, mit entsprechenden biblischen Zitaten (1 Kor 11, 8-10): Der Mann wurde nicht aus der Frau geschaffen, sondern die Frau aus dem Mann. Der Mann wurde auch nicht für die Frau geschaffen, wohl aber die Frau für den Mann. Deshalb muss die Frau ein Zeichen der Unterordnung und zugleich der Bevollmächtigung auf dem Kopf tragen.

Ich entgegnete - zu seiner großen Enttäuschung - dies: Wenn Paulus mahnt, die “Herrschaft” des Mannes über die Frau solle jener Christi über die Gemeinde entsprechen - und dies in einer durch und durch patriarchalen Gesellschaft, wie sie im Alten Rom nun einmal gegeben war -, dann kann doch nur gemeint sein, dass die christlichen Männer, auch wenn sie dazu jedes Recht hätten, auf jegliche Form des Herrschens verzichten sollen; denn Christus ist ja gerade kein Despot, der andere klein macht, sondern einer, der sich selbst erniedrigt, um uns groß zu machen.

Um auf den Anfang zurückzukommen, liebe Gemeinde:

Da also ist “vorn”, lernen wir von Jesus Christus, dort ist “oben”, sehen wir an dem Gekreuzigten: Wo der Erste sich tief nach unten beugt, uns vorangeht - ja, aber indem er den anderen die Last abnimmt, die er allein auf sich nimmt.

Ihm lasst uns folgen! 

Amen.

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