Uruguay 2

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# Studienreise

Uruguay 2

Bericht von meiner Studienzeit in der Congregación Evangélica Alemana en Montevideo bzw. der Evangelischen Kirche am Rio de la Plata ab dem 1. Februar 2019

1. Februar

Übersicht gewinnen

Am Vormittag habe ich mich endlich mit einigen der Schriften beschäftigt, die mir am Sonntag vom Pastor der Waldenser in die Hand gedrückt worden waren; sie könnten mich ja interessieren, vermutete er.

Am meisten Aufmerksamkeit errang ein in Briefform gestalteter Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diskussion, in der die Kirchen sich sehr unterschiedlich positioniert haben: Ein Gender-Gesetz galt es zu beschließen, und gestritten wurde vor allem um die Frage, was “mündig” bedeutet bzw. wer das Recht habe, eine Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern, wenn es um den Wunsch eines Heranwachsenden nach Geschlechtsumwandlung geht.
Die katholische Kirche scheint sich mehr oder weniger aus der Debatte herausgehalten zu haben.
Für die ernstzunehmenden evangelischen Kirchen - darunter die CEAM, die Waldenser, die Methodisten <deren prächtige Residenz zeigt das nächste Foto> und Mennoniten - steht das Kindeswohl im Vordergrund. Sie haben kein Problem mit Diversität und argumentieren theologisch orientiert an Begriffen wie Verantwortung, Respekt, Einzigartigkeit des Individuums etc..
Sämtliche evangelikale und die meisten pflingstlerischen Kirchen sehen nur auf den Wortlaut der Bibel und akzeptieren kein Abweichen von einer - als schöpfungsgegeben verstandenen - Norm. Es gab und gibt sogar Heilprediger, die ihr Geld damit verdienen, verzweifelten Eltern eine Kur des mißratenen Sohns zu verkaufen, wenn dieser sich als homosexuell geoutet haben sollte. Natürlich “gelingt” eine derartige Prozedur nie und nimmer und endet, sobald die Geduld (oder das Geld) des Vaters erschöpft ist, damit, daß die Familie den Sohn verloren gibt und ausstößt.

In einem Brief des Rates der Evangelischen Kirchen Uruguays vom Oktober 2018 fordern die unterzeichnenden Organisationen (darunter, neben den oben genannten, auch die Lutheraner, die Heilsarmee, die Armenische Evangelische Kirche und eine Pfingstkirche) von Politik und Medien des Landes eine differenzierende Bezeichnung evangelischer Kirchen ein und distanzieren sich in diesem Zusammenhang sehr deutlich von den erwähnten Sekten.  Bei genauerer Betrachtung vermißte ich unter den Absendern die Presbyterianische Kirche.

Eine ganz andere Art von Überblick gewann ich bei einem Spaziergang von der Altstadt auf die Mole und von dort dann abermals durch die Altstadt zum Rathaus (Intendencia), wo jedermann kostenlos zur 22. Etage fahren darf, von wo aus man einen - leider durch ungeputzte Fensterscheiben etwas beeinträchtigten - herrlichen Blick über die Stadt hat.

Von dort war es nicht weit zum Goethe-Institut, das sich einen Gebäudekomplex mit der Deutschen Botschaft direkt an den Ramblas teilt (in der Bildmitte jedoch nicht dieses, sondern der Sitz der Organisation Mercosur).

Hier traf ich auf eine sehr freundliche Dozentin, die mir gestattete, einen Suchaufruf nach jemandem, der an einem Zweisprachen-Tandem interessiert ist, ans Schwarze Brett zu hängen. Wir kamen ins Gespräch über Deutsche im Ausland und die CEAM im besonderen, und natürlich lud ich sie sogleich zum Gottesdienst ein.

2. Februar

Da es von gestern und heute nichts Großartiges zu berichten gibt - und um zu vermeiden, daß der Text morgen zu lang wird -, beginne ich hier schon mal, die morgige Predigt darzubieten. (Fortsetzung folgt morgen.)

Wie soll das gehen, liebe Gemeinde?!
Eine reichhaltige Liturgie mit Abendmahl habt Ihr hier - aber der Gottesdienst soll bitte nicht länger als eine Stunde dauern. So wurde es mir gesagt.
Heißt das, die Predigt ist nicht so wichtig oder soll auf jeden Fall kurz gehalten werden?
Nicht jedem ist es gegeben, zu predigen wie Luther, der angeblich das Motto ausgegeben hat: “Tritt frisch auf! Tu's Maul auf! Hör bald auf!”
Ich kann es immerhin versuchen, mich an dieser Maxime zu orientieren - auch wenn der Reformator selbst gern eine ganze Stunde lang gepredigt hat und die Leute in der Kirche stehen mußten, im Winter ohne Heizung...
Wenn ich denn bald aufhören soll, will ich möglichst frisch auftreten, das Maul aufreißen und sogleich zur Sache kommen. Die Sache - das ist die Frohe Botschaft, und zur Auslegung empfohlen für den heutigen Sonntag ist ein Abschnitt aus dem 1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth. Darin heißt es:
➃ Jedes Mal, wenn ich für euch bete, danke ich meinem Gott für die Gnade, die er euch durch Jesus Christus geschenkt hat.
➄ Durch ihn hat er euch in jeder Hinsicht reich gemacht – reich an geistgewirkten Worten und reich an geistlicher Erkenntnis.
➅ Er hat die Botschaft von Christus, die wir euch gebracht haben, in eurer Mitte so nachhaltig bekräftigt, ➆ daß euch nicht eine von den Gaben fehlt, die er in seiner Gnade schenkt. Nun wartet ihr sehnsüchtig darauf, daß Jesus Christus, unser Herr, in seiner ganzen Herrlichkeit erscheint.
➇ Gott wird euch die Kraft geben, im Glauben festzubleiben, bis das Ziel erreicht ist, damit an jenem großen Tag, dem Tag unseres Herrn Jesus Christus, keine Anklage gegen euch erhoben werden kann.
➈ Ja, Gott ist treu; er wird euch ans Ziel bringen. Denn er hat euch dazu berufen, jetzt und für immer mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, verbunden zu sein.
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir einen der biblischen Briefe aufschlagen, dann ist das, finde ich, ein wenig so, als würde man in der Korrespondenz fremder Leute schnüffeln. - Es gibt ja tatsächlich fiktive Briefe als spannendes Stilmittel der Literatur sowie hervorragende Publikationen von Briefen berühmter Persönlichkeiten, die wir auf diese Weise sehr intensiv kennenlernen können.
Der hier “Ich” sagt, Paulus, ist uns zwar nicht unbekannt, aber doch sehr fremd und fern; und das gilt noch viel mehr für jene, die hier als “Ihr” angesprochen werden, die Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth.
Wäre ich jetzt zuhause in Berlin, würde ich nach Anknüpfungspunkten suchen zwischen dem Text und “meiner” Gemeinde. Das ist hier schwieriger, weil ich diese Gemeinde noch nicht kenne. Aber es hat den großen Vorteil, mich daran zu erinnern, daß weder die hiesigen noch die dortigen noch überhaupt irgendwelche heutigen christlichen Gemeinden Adressaten jener Zeilen sind, die wir gehört haben.
Und was wissen wir über die Korinther?
Oh - das könnte jetzt zu einem langen theologische Vortrag ausarten, den wir ja nicht wollen!
Also in aller Kürze:
Unsere Perikope klingt durch und durch positiv, ist aber - gemäß den Gepflogenheiten antiker Briefe - vor allem die höfliche Bitte um Aufmerksamkeit. Was Paulus im weiteren Verlauf des Briefes entfaltet, ist geradezu erschütternd:
Er spricht von theologischen Fraktionen und den Eitelkeiten von Anführern, die Anhänger um  sich scharen und damit die Gemeinde spalten.
Er schüttelt den Kopf über eine Abendmahlspraxis, die es nicht verdient, “Mahl des Herrn” genannt zu werden, und auch über religiöse Selbstverwirklichung auf Kosten der Allgemeinheit, nämlich von Seiten jener, die in Zungen reden und dies für einen spirituellen Vorzug halten.
Er geht Kapitel für Kapitel praktische Alltagsfragen der Gemeinde durch, etwa, ob es erlaubt ist oder verboten - oder egal -, Fleisch zu essen; denn alles Fleisch, das auf dem Markt angeboten wurde, stammte - das wußte jeder - von heidnischen Götzenopfer-Mahlzeiten.
Das genügt, glaube ich, um einen Eindruck zu bekommen von den Verhältnissen damals dort.
Nichts davon berührt uns noch, abgesehen davon, daß wir dazu übergegangen sind, am Gründonnerstag ein Tischabendmahl zu feiern, wo - einmal im Jahr - dafür gesorgt wird, daß es richtig etwas zu essen gibt und Gemeinschaft erlebt werden kann, wenn wir miteinander das Brot brechen und den Kelch teilen, wie es Jesus und seine Gefährten taten in Vergegenwärtigung der Befreiung des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus Ägyptens.
Paulus arbeitet sehr geschickt mit Lob und Tadel, schimpft und wirbt - und in alledem ist große Leidenschaft zu spüren: Leidenschaft für Gott, aber auch ein Ringen um die Gemeinde, die er in Gefahr sieht und auf keinen Fall verloren geben will.
Das hört sich in unseren Versen noch ganz anders an, etwa in Vers 8: Gott wird euch die Kraft geben, im Glauben festzubleiben, bis das Ziel erreicht ist, damit an jenem großen Tag, dem Tag unseres Herrn Jesus Christus, keine Anklage gegen euch erhoben werden kann.
Das klingt sehr zuversichtlich und ist hoffentlich keine Beschwichtigung.
Wir zitieren solche Verse gern, um die Kraft ihres Trostes für uns fruchtbar zu machen.
Allerdings - so jedenfalls mein Eindruck - nehmen wir uns dabei ebenso gern die Freiheit, Worte und ganze Satzteile unberücksichtigt zu lassen; im konkreten Fall den ganzen letzten Halbsatz, der das zu erreichende Ziel definiert als den Tag der Wiederkunft des Herrn.

3. Februar

Der Predigt zweiter Teil:

Was ist das für ein Trost, wenn so unsauber gearbeitet wird, liebe Geschwister!?
Ich kann ja auch nicht davon sprechen, wie berauschend es ist, mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h vorwärts zu preschen, wenn ich dabei verschweige, daß ich von einem Skispringer spreche, der dabei ist, die Schanze hinab zu sausen!
Schauen wir also noch einmal hin, wovon Paulus tatsächlich spricht und ob dies uns etwas angeht, die wir zeitlich und räumlich so weit entfernt sind von den Christenmenschen in Korinth!
Fangen wir beim letzten Vers an: Ja, Gott ist treu; er wird euch ans Ziel bringen. Denn er hat euch dazu berufen, jetzt und für immer mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, verbunden zu sein.
Das glauben auch wir, bin ich überzeugt. Nur daß wir mittlerweile nicht mehr die Erwartung teilen, daß noch zu unseren Lebzeiten die Wiederkunft Christi den gewohnten Lauf der Welt zu einem abrupten, aber guten Ende bringen wird.
Inwieweit geistgewirkte Worte und geistliche Erkenntnis anzutreffen sind unter den Evangelischen deutscher Sprache in Montevideo, das laß ich mir gern berichten, darüber kann und will ich kein Urteil abgeben, sondern nur die Hoffnung äußern, daß die Gnade Gottes hier nicht weniger großzügig ausgegossen ist als andernorts.
So weit, so schön - aber blicken wir noch einmal auf die beiden Verse, die im Zentrum unseres Textes stehen! Ich könnte mir vorstellen, daß diese Worte für uns zunächst einen Stein des Anstoßes darstellen - und wenn ich das so formuliere, dann in der Hoffnung, daß daraus letztlich eine Art Grundstein werde:
➅ Gott hat die Botschaft von Christus, die wir euch gebracht haben, in eurer Mitte so nachhaltig bekräftigt, ➆ daß euch nicht eine von den Gaben fehlt, die er in seiner Gnade schenkt. Nun wartet ihr sehnsüchtig darauf, daß Jesus Christus, unser Herr, in seiner ganzen Herrlichkeit erscheint.
Der Knackpunkt , liebe Geschwister, ist die Sehnsucht, von der Paulus hier spricht.
Jeder und jede von uns gehe in sich und frage: “Was ist mein dringlichster Wunsch, mein innigstes Sehnen?”
Was der Apostel beschreibt und in unserer Kirchensprache einen festen Platz hat, kommt im wirklichen Leben nach all meiner Beobachtung und Selbstbeobachtung wenig bis gar nicht vor, wenn man einmal von sehr radikalen frommen Kreisen absieht: das Harren der Wiederkunft Christi.
Wir haben uns in dieser Welt recht gut eingerichtet und können es ganz gut aushalten, wenn es noch ein Weilchen dauert, bis Himmel und Erde vergehen und ein neuer Himmel und eine neue Erde erscheinen, vermute ich - und ich erspare es mir und Ihnen nicht, das Zitat zu Ende zu führen: ...in denen Gerechtigkeit wohnen nach seiner Verheißung.
Was treibt Christenmenschen um, die fern der Heimat - oder vielleicht besser gesagt: in ihrer fern gelegenen neuen Heimat - sowohl an ihrer kulturellen als auch konfessionellen Identität festhalten wollen?
Das ist keine rhetorische Frage, die ich gleich selbst beantworte, sondern gehört zu den Dingen, die ich an Ort und Stelle erforschen will, weil mich interessiert, was uns - bei gleichem evangelischem Bekenntnis - über etwa 12000 km hinweg miteinander verbindet angesichts dessen, daß zwar hier wie dort Deutsch gesprochen wird, die Lebensverhältnisse jedoch ganz und gar unterschiedlich sind.
So verdienstvoll es ist, seinen Wurzeln treu zu bleiben: Kirche ist ja kein Traditionsclub, oder wenn doch, dann einer, bei dem das je Eigene eine deutlich untergeordnete Rolle zu spielen hat gegenüber der gemeinsamen Mission, die uns heute hier und in Deutschland und überall auf der Welt ebenso gilt, wie das schon für die ersten Christen in Korinth gegolten hat - dieses sehnsuchstvolle Er-Warten einer Welt, in der alle Menschen in Würde leben können, in der die satt werden, die nach Gerechtigkeit hungern, weil die gesättigt werden, die Hunger haben nach dem täglichen Brot.
Zu bewahren gilt es meinethalben auch Eigenheiten dieses Ortes und dieser Gemeinschaft, sofern dies dazu dient, auch heute und in Zukunft jene einzuladen, für welche die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in Montevideo unter allen vorhandenen jene Institution ist, von der sie sich ein ansprechendes und glaubhaftes Zeugnis christlichen Glaubens erwarten.
An Gaben, so Paulus, fehlte es den Korinthern nicht; und auch hier gibt es Menschen, die begabt sind für mancherlei Dienste, die zu tun sind, damit Gemeinde leben und wirken kann.
Nicht zuletzt dürften finanzielle Mittel reichlicher vorhanden sein als bei einer uruguayischen Gemeinde vergleichbarer Größe - man muß sie nur auch einbringen, wenn einem das Gemeindeleben und das christliche Zeugnis am Herzen liegen; und man muß auch - anders als in Deutschland - jene um einen Beitrag bitten, die als Außenstehende das Potential der Gemeinde nutzen möchten - sei es der Kirchenraum, die Arbeitszeit des Pastors oder was auch immer.
Jeder sehe zu, die anvertrauten Gaben auch als Aufgaben zu begreifen, um deretwillen wir uns vor Gott zu verantworten haben!
Möge es gelingen, im beständigen Gespräch miteinander einen Weg zu gehen, an dessen Ende gesagt werden kann, was Paulus den Korinthern attestiert hat: Daß Gott keine Anklage gegen sie vorbringen kann, weil sie sich nach Kräften gemüht haben zu tun, was ihnen aufgegeben war.
Vertrauen wir - jeder an seinem Ort - auf das, was Paulus hier als Schlußsatz ausspricht: Ja, Gott ist treu; er wird euch ans Ziel bringen. Denn er hat euch dazu berufen, jetzt und für immer mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn, verbunden zu sein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

4. Februar

“Was für eine Freude!”

Der erste Gottesdienst nach der Ferienpause - der erste Gottesdienst seit langem, bei dem ein Muttersprachler auf Deutsch predigt:
Beide Gäste - auch der Organist ist hier nur temporär - werden vorneweg begrüßt, und los geht’s mit einer feierlichen, leicht kitschigen altpreußischen Liturgie...
Zuvor hatte die beflissene Aida, die nur Spanisch spricht, wie immer die Kirche aufgeschlossen und den Gottesdienstraum vorbereitetet - bis auf die Blumen, die diesmal von Frau Lüdorf beigetragen wurden. Kaum war es mir gestattet, mit anzufassen, um die - hier nur schemenhaft erkennbare - Holzskulptur “Betende Hände” (aus dem Jahr 1934 und damals im “Reich” gewiß als “entartet” verfemt), die einiges wiegt, in den Altarbereich zu wuchten.

Die kleine Abweichung, die ich mir erlaubte vorzunehmen (und deutlich ansagte), nämlich das Fürbittengebet im Wechsel mit je einer Strophe des Liedes “Gott liebt diese Welt” zu beten, wurde ohne Murren akzeptiert; doch ich sah sehr deutlich das Kopfschütteln einer (als Querulantin bekannten) alten Dame (die immerhin sich zum Lesen gemeldet hatte), als ich behauptete, ansonsten mich nach Kräften an die vorgegebene Liturgie gehalten zu haben. Richtig ist (ich erwähnte es bereits), daß Caspar Wein und ich beschlossen (und an der Liedertafel angezeigt) hatten, das Dreimalheilig und das Agnus Dei der heute geläufigen Liturgie zu verwenden.
Aber daß man die Predigt so wunderbar hat verstehen können! Mir wurde (mit der Bitte, es nicht weiterzusagen) von mehreren Personen je einzeln anvertraut, daß es ihnen keinen rechten Spaß mehr mache, zum deutschsprachigen Gottesdienst zu gehen, da Jerónimo seinen - woher auch immer genommenen - Text ohne Betonung (und zu leise) herunter murmle. Daß das aber doch besser miteinander besprochen werden solle, gab ich zurück und wies zugleich darauf hin, daß angesichts der finanziellen Situation und der nicht mehr gegebenen Zugehörigkeit zur EKD kaum damit zu rechnen sei, daß es jemals wieder einen deutschen Pfarrer in dieser Gemeinde geben werde; denn - bei aller Liebe: Von rund 550 Euro im Monat kann man auch hier nicht ohne Zubrot leben.
Wegen der tollen Atmosphäre soll es wieder ein gemeinsames Kaffeetrinken geben. Vorerst aber ist es mir wichtiger, möglichst auch Einzelgespräche führen zu können; denn dabei rechne ich mit einer höheren “Ausbeute” verwertbarer Informationen. Das wurde ebenso verabredet wie meine partielle Mitwirkung beim Weltgebetstag.
Der freundliche Herr, der mich im Talar fotografiert hatte, wurde mir anschließend als der deutsche Botschafter vorgestellt. Er war gern zu einem gemeinsame Foto bereit - aber (als Hamburger) natürlich lieber vor dem von Hamburgern gestifteten Kirchenfenster als vor jenem aus Bremen.

5. Februar

...und ewig grüßt das Mückentier

Jetzt kann ich wieder Schuhe anziehen (am Sonntag mußte es natürlich auch irgendwie gehen) und herumlaufen; selbst an Sport ist wieder zu denken.
Tagelang waren die Füße - eigene Schuld! - so aufgekratzt wegen der zahllosen Mückenstiche, daß ich mir Gaze nachkaufen mußte, um die Wunden mit Betaisodona zu versorgen.
Ich nutze also den Montagvormittag zum Spazierengehen und präsentiere gern ein paar Impressionen aus der Stadt, und zwar ein paar bunter Häuser alten Stils und eine Kostprobe der hier anzutreffenden Blütenpracht.


Den Nachmittag habe ich an der Übersetzung von Gebeten für den spanischsprachigen Gottesdienst am kommenden Sonntag und weitere vorbereitende Tätigkeiten benötigt. (Gerade eben haben mit die vom Strand zurückgekehrten jungen Damen geholfen, die grammatikalisch richtige Form für die Bitte um den Segen zu finden, die ich in zweiter Person Singular an Gott richte; vorgefunden hatte ich die “lutherische” Form des Segenszuspruchs - und nicht zufrieden war ich damit, die dritte Person Singular zu verwenden, da ich doch ansonsten Gott väterlich mit “Du” anrede.)
Noch ein kleiner Nachtrag zu Sonntag: Nach dem Gottesdienst sprach mit ein jüngerer Mann an und erzählte, er habe das vorige Jahr hier mit seiner Familie verlebt und hätte gern noch seine Tochter in der Gemeinde taufen lassen; das hätte sich aber nicht ergeben. Nun ist er beruflich abermals in Montevideo, zuhause jedoch ist er in Berlin, genauer gesagt in unserem Kirchenkreis - und noch immer auf der Suche nach einer Gemeinde für die Taufe seines Kindes. Ob ich mir vorstellen könnte - da wir uns doch jetzt kennen - die Taufe eventuell zu machen? - Und ob ich kann, gerne doch!

6. Februar

Schein und Sein

Ich habe mir noch einmal lexikalische Informationen über Uruguay durchgelesen, um sie mit eigenen Eindrücken und den Aussagen von hier lebenden Personen zu vergleichen - soweit das  nach so kurzer Zeit und ohne Erfahrungen in anderen Ländern Lateinamerikas möglich ist, zumal ich in einer deutschen Gemeinde unter lauter Argentiniern lebe.

Deutsche Apotheke

Manches sieht - nicht nur dem Namen nach - einigermaßen bekannt aus und funktioniert augenscheinlich ähnlich wie in Deutschland (und unterscheidet sich damit fundamental von anderen südamerikanischen Ländern). Dazu gehört der in Uruguay bereits seit 100 Jahren bestehende kostenlose allgemeine Zugang zu schulischer Bildung, die erst nach den ersten neun Jahren in verschiedene Qualifikationsstufen unterteilt wird. Auch ein kostenloses allgemeines Gesundheitssystem sucht in Lateinamerika seines gleichen. Allerdings habe beides in den vergangenen Jahrzehnten stark nachgelassen, erwähnt nicht nur Wikipedia, sondern sagen gleichlautend Gemeindeglieder und Pastor Granados.
Gleichwohl - wir befinden uns gerade im Präsidentschaftswahlkampf - ist es einer lobenden Erwähnung wert, daß es hierzulande wenig Korruption und viele Arbeitnehmerrechte gibt, daß die Gewaltenteilung funktioniert und politische Mechanismen (wie etwa das Verbot einer direkten Wiederwahl eines amtierenden Präsidenten) den Bestand der Demokratie garantieren.

Anderes funktioniert zwar wie weltweit üblich und sieht doch anders aus, als wir das kennen - so die Stopschilder, die hier auf Spanisch “Halt!” gebieten.
Nicht nur das Schild, die ganze Stadt ist dreckig, wirkt so, als würde man sie zwar ständig schrubben und doch den eingefressenen Schmutz nicht wegbekommen.
Auch wenn die Preise sehr denen ähneln, die wir zuhause kennen - mal ist es weniger (wie der Busfahrschein, der nur 1 Euro kostet), mal ist es mehr (wie das Bier, das in der Kneipe an die 5 Euro kostet): Vielleicht hat Jerónimo doch nicht gänzlich übertrieben, als er Uruguay als einen Teil der Dritten Welt bezeichnete. Es wäre zwar unfair, dies mit nicht funktionierender Infrastruktur zu begründen - die gibt es nämlich andernorts auch.

Aber das staatliche Handeln läßt trotz vorhandenem gutem Willen zu wünschen übrig - z.B. im Hinblick auf die große Zahl von Obdachlosen, die sich selbst überlassen scheinen und damit nicht nur selber massive Probleme haben, sondern auch tagtäglich in erheblichem Umfang dazu beitragen, etwa die Verschmutzung zu einem Dauerzustand werden zu lassen. So wirkt dieser Platz mit seinem hübschen Springbrunnen gepflegt und ansprechend; aber im Schatten der Büsche und Bäume liegen Leute, von denen ich denke, daß sie nicht etwa ihren Rausch ausschlafen, sondern kein Zuhause haben.

7. Februar

Ich sehe was, was du nicht siehst

“Hallo, das sind meine Freundinnen. Das ist Stephan. Er ist auch Pfarrer, wohnt bei uns und macht Studien. Was machst du noch mal genau?”
So wurde ich zwei Kolleginnen von Frau Granados (por supuesto en castellano) am Abend kurz vorgestellt. Ich skizzierte, was mich interessiert.
Und weshalb gerade Uruguay?
Weil ich - das erste Mal überhaupt außerhalb von Europa - nicht gleich die krassesten Verhältnisse vorfinden wollte; und man sagt ja, Uruguay sei die “Schweiz Südamerikas”.
Ob das denn auch stimme?
Mir fehlt der Vergleich, sage ich. Aber immerhin scheinen die Verhältnisse recht stabil zu sein. Wenn ich bedenke, was ich von den Andenländern weiß...
Zustimmung (und Zufriedenheit): Ja, so gesehen, steht Uruguay tatsächlich recht gut da.

Rückblende: Am Nachmittag war ich zu Gast bei den Lüdorfs in ihrer sehr deutsch eingerichteten großzügigen Wohnung, von der aus man einen Seitenblick auf den Rio de la Plata hat.
Was würde fehlen, gäbe es die CEAM nicht, fragte ich. Oder anders herum: Was ist es, das mit dieser Gemeinde verbindet?
Ich erfahre sehr viel über die Familien- und Gemeindegeschichte, über Hochzeiten und Taufen.
Es schält sich der Eindruck heraus, daß für Frau Lüdorf - wie für so viele andere Menschen, auch in der Ev. Paulus-Kirchengemeinde Tempelhof - die persönlichen Bindungen an Personen und gute Erinnerungen an prägende Ereignisse, etwa in einer Jugendgruppe, eine entscheidende Rolle spielen.
Doch gleichzeitig ist meiner Gesprächspartnerin klar, daß man daran nicht zukunftsträchtig anknüpfen kann, wo doch die eigenen Kinder - in diesem Fall auch noch katholisch getauft, weil der Ehemann katholisch ist - gar nicht hier, sondern in Deutschland leben und also für die Gemeinde nicht “die nächste Generation” sein können.
Dann läge, wenn überhaupt, Zukunftspotential in der engagierten Jugendarbeit, die Jerónimo Granados (anders als sein charismatischer, aber auch sehr eigenwilliger Vorgänger) macht, vermute ich.
Doch das brächte, konsequent weitergedacht, mit sich, daß das Deutsche der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Montevideo eine perspektivisch immer geringere Rolle spielt.
Das sprach ich bei Gelegenheit Jerónimo gegenüber an, der nicht nur dies grundsätzlich bestätigte, sondern dieses Phänomen auf die gesamte IERP bezieht, die  - was mir so vorher gar nicht bewußt war - sich insgesamt in einem allmählichen Transformationsprozeß befindet und seit kurzem (erstmals) einen Kirchenpräsidenten hat, der nicht deutschsprachig ist.
Diese neue Erkenntnis ändert meinen Erwartungshorizont bezüglich meinen Reisen nach Paysandú / Young und Nueva Helvecia einerseits, andererseits aber auch hinsichtlich meines (hoffentlich zustande kommenden) Gesprächs mit jemandem aus der Kirchenleitung in Buenos Aires Anfang April.

8. Februar

Lebensäußerungen der Kirche

Es ist noch / wieder sehr heiß. Trotzdem mache ich mich zu Fuß auf den Weg, die kleine lutherische Gemeinde “San Salvador” aufzusuchen.  Den Weg dahin kenne ich schon, zumindest bis zur Waldenserkirche; es ist aber noch ein Stückchen weiter zu laufen.

Leider treffe ich niemanden an, der zur Gemeinde gehört. Auf dem Gelände findet gerade soziale Beratung in Rechtsfragen statt. Eine Dame ermöglicht mir immerhin einen Blick in die bescheidene Kapelle, wo sonntags Gottesdienste gefeiert werden. Ich erfahre zumindest, daß die Gemeinde auf demselben Grundstück ein Wohnheim betreibt, in dem derzeit auch einige junge Leute aus Deutschland leben, die hier in sozialen bzw. diakonischen Projekten tätig sind.
Nun beschließe ich, auch noch die - das klingt doppelt exotisch - armenische evangelische  Gemeinde aufzusuchen, welche laut Jerónimo eher reformiert geprägt ist (was angesichts des orthodoxen Umfeldes noch einmal mehr aufhorchen läßt). Sie befindet sich in der zuletzt gequerten Hauptverkehrsstraße - allerdings ein paar Kilometer entfernt.

Umso größer ist die Enttäuschung, als ich endlich vor dem stattlichen Gebäude stehe, das mit einer behindertengerechten Auffahrt ausgestattet, zugleich aber auch mit Stacheldraht bewehrt ist und keinerlei Informationen bietet, abgesehen von einer Aufschrift, von der ich mutmaße, das sie aus armenischen Buchstaben besteht. Am rückwärtigen Eingang steht - wenig einladend - die Aufforderung: “Bitte klingeln und sich anmelden!”

Ergiebiger für meine Studien ist ein Gespräch mit Frau Granados über die zahlreichen diakonischen Einrichtungen der IERP, vor allem in Argentinien. “Wozu ist denn Kirche überhaupt da, wenn nicht dazu, für ein menschenwürdiges Miteinander einzustehen?!
Sie ist von der Richtigkeit kirchlichen Handelns in den sozialen Brennpunkten ebenso überzeugt, wie sie daran zweifelt, daß dies maßgeblich zur Veränderung jener Umstände beiträgt, die sie als die typischen Dritte-Welt-Phänomene betrachtet, nämlich eine “Rette-sich-wer-kann-“-Mentalität der Reichen und Mächtigen - wobei beides auch in umgekehrter Reihenfolge benannt werden kann und sollte, denn eines bedingt das andere. Mir allerdings fällt schon auf, daß unter den mancherlei diakonischen Einrichtungen der IERP nur ein einziges in Uruguay aufgezählt wird - und das ist ein Altenheim in Nueva Helvecia.

10. Februar

Stillstand und Bewegung

Zum ersten Mal habe ich gestern auf einen Bericht verzichtet - denn es gab nur große Hitze und wenig Aktivität.
Heute nun der mit Spannung erwartete Gottesdienst in spanischer Sprache...

Den gestrigen Tag über hatte ich noch mit der Einarbeitung von Korrekturen in Predigt und Gottesdienst-Texte zu tun - was an und für sich nicht so lange gedauert hätte, wäre nicht das Papier im Drucker ausgegangen und zunächst nicht zu erkennen gewesen, wie man es nachfüllt. Das hat mich - zusätzlich zur unsäglichen Hitze - ins Schwitzen gebracht.
Es waren recht wenige Gottesdienstteilnehmende anwesend, darunter einige andere Gesichter als vorigen Sonntag - und es stellte sch heraus, daß etliche kein Deutsch sprechen und deshalb bewußt vorige Woche weggeblieben sind. Darunter war auch jener Mann, der mir anvertraute, daß er vor längerer Zeit aus der Katholischen Kirche ausgetreten sei, sich aber seit geraumer Zeit für die evangelische Lehre und speziell diese Gemeinde interessiere; wir verabredeten, unser Gespräch fortzusetzen und uns dafür beim Gottesdienst in 14 Tagen zu verabreden.   

A propos verabreden: Nachzutragen ist, daß Jerónimo für mich einen Termin bei der Kirchenleitung in Buenos Aires für den 3. April verabredet hat.
Für die heute beginnende Woche gibt es - neben dem geplanten Besuch in Paysandú und Young - zwei Termine im Gemeindeleben der CEAM, an denen ich teilnehmen werde: Am Dienstag trifft sich nachmittags die Gemeindejugend, und am Abend ist eine Sitzung der Gemeindeleitung, zu der die Präsidentin eingeladen hat, indem sie den zeitlichen Rahmen mit 90-120 Minuten angab; schauen wir mal, ob das eingehalten werden kann und wird!
Und dann bin ich nach dem Gottesdienst noch von Waltraud Teske, der vormaligen GKR-Vorsitzenden, eingeladen worden, mit ihren Enkeln (die Tochter ist verstorben) in ihr Haus nach Punta del Este zu fahren. Da wollte ich ohnehin furchtbar gern mal hinfahren; denn dort beginnt der Atlantische Ozean. Wunderbar!

11. Februar

Laufen und Lesen

Bei aller Freude an Sommer und Sonne: Bei dieser Hitze und hohen Luftfeuchtigkeit habe ich das Haus gestern erst am Nachmittag verlassen - da wurden immer noch 33 Grad Celsius angezeigt. Davor saß ich im luftigen Wohnzimmer, lesend, lernend - aber auf die Dauer mich langweilend.

Hier nun zumindest ein paar Foto-Impressionen:

Den Sonntagnachmittag verbrachten etliche Mondevideanos im angenehmen Schatten des nahegelegenen Rodó-Parks. Bei genauer Betrachtung sieht man das Wasser des Río de la Plata im Hintergrund schimmern.

Das zweite Foto zeigt die Bucht mit dem Ramirez-Strand, der sich etwa 500 m vom Pfarrhaus entfernt befindet - unmittelbar neben / vor dem Parque Rodó.

Zwar brachte das Wasser keinerlei Abkühlung, trotzdem ließen sich viele locken - vor allem natürlich Kinder.

Doch - wie man gleich sehen wird - hielt mich der Zustand des Wassers weiterhin davon ab, mehr als nur die Füße hineinzutauchen, denn weiterhin herrscht eine unangenehme (und auch gesundheitsgefährliche) Algenplage:


11. Februar

Abhängig von der Technik

Ich bin kein Technikbegeisterter, kann warten, mir irgendwelche Neuerungen anzuschaffen, von denen behauptet wird, die Welt käme ohne sie nicht aus. Ich habe lange kein Handy besessen...
Aber was wäre ich hier ohne dieses Werkzeug?
Es ist - zusammen mit dem Rechner - meine Verbindung mit der Welt; ich empfange Whatsapp-Nachrichten und kann mich per Google Maps orientieren oder sonstige  Informationen aus dem Internet abrufen.
Es ist meine Kamera, ohne die ich all die schönen Erinnerungen nicht hätte fixieren (und mit anderen teilen) können, die ich per Foto und Video festgehalten habe.

Es ist mein Musikspeicher und taugt auch als Radio, so daß ich hier nicht auf meine Lieblingsmusik verzichten muß.
Es ist mein Wecker und mein Fotoalbum - und erweist sich erfreulicherweise als zuverlässig.
Gestern ersetzte das Handy mit seiner Video-Telefonie auch den Skype-Dienst, den ich nur auf dem Laptop installiert habe. “Aus Sicherheitsgründen” (vermutlich wegen der Diskrepanz zwischen uruguayischem Standort und deutscher Handynummer) wurde mein Konto geschlossen, und ich mußte mich heute mit neuem Nutzernamen erneut anmelden.
Auch der Rechner erweist sich (nicht erst hier) als unverzichtbar - in erster Linie weiterhin als Arbeitsinstrument (z.B. zum Verfassen dieses und anderer Texte). Aber auch als Informationsquelle nutze ich das Ding, um mich über die Nachrichtenlage in Deutschland zu informieren, ebenso auch zur Unterhaltung an einsamen Abenden, an denen ich auf die Mediathek oder Youtube zurückgreifen kann.
Und natürlich - ich mag das kleine Display des Handys dafür nicht nutzen - verwende ich den Computer zur Internetrecherche - sei es von Verkehrsverbindungen, sei es als Online-Wörterbuch oder für vieles andere mehr.
Ich bin weiterhin kein Freak, der sich für technische Feinheiten interessiert. Aber dankbar, sehr dankbar bin ich dafür, daß mir solche Hilfsmittel zur Verfügung stehen und - wenn auch manchmal mit gewissen Einschränkungen - erlauben, mit der Welt in Kontakt zu stehen und mich daher weniger ausgeliefert zu fühlen in dieser fremden Stadt, in der ich nur wenige Menschen kenne.

12. Februar

Der Alltag beginnt

Plötzlich Herbst - Regen die ganze Nacht bis in den Nachmittag hinein, die Temperaturen sanken auf (angenehme) 22 Grad, und der Sturm wühlte das Wasser auf, wie wir das von Nord- und Ostsee kennen.

Familie Granados kehrte doch schon am Montagabend zurück, denn am heutigen Dienstag heißt es für die Ehefrau und die ältere Tochter, nach Buenos Aires abzureisen; nur die Jüngste lernt noch für Prüfungen, die sie für die Anerkennung für das Studium in Argentinen benötigt, da sie ihren Abschluß in Uruguay erworben hat.

Für den Nachmittag sind die Jugendlichen eingeladen. Fraglich ist allerdings, ob überhaupt irgendjemand kommt; denn noch sind Ferien.

Sicher hingegen ist - ich werde morgen davon berichten -, daß die Gemeindeleitung heute Abend zusammenkommt.

Weniger sicher kann man sich beim Anblick dieser Vorstadtvilla sein, ob das Foto in - sagen wir - Lichterfelde-West aufgenommen wurde oder tatsächlich im Modevideaner Stadtteil Pocitos. Letzteres ist natürlich der Fall und hat mich ebenso verblüfft wie vermutlich die meisten Leute, die (wie zuvor ich) noch nie in Südamerika waren und es sich irgendwie - aber auf jeden Fall ganz anders als zuhause - vorstellen.

13. Februar

Offen - (nicht) für alle(s)

Am Nachmittag kommen tatsächlich drei Jugendliche in die Barbacoa, den Kirchanbau, in dem sowohl gemütliche Zusammenkünfte als auch - ich greife vor - die Sitzungen z.B. der Gemeindeleitung stattfinden.

Merkwürdigerweise plaudern die vier bereits, als ich um halb sechs dazukomme; man habe etwas früher angefangen als vorgesehen.
Ich erfahre, daß zwei der drei jungen Leute - eine junge Frau und ein junger Mann - jüngst aus Nueva Helvecia zugezogen sind, um im März ihr Studium aufzunehmen. Der Dritte, ein junger Mann, gehört bereits zur Gemeinde und hat Jerónimo beim Konfirmandenunterricht und beim Junge-Gemeinde-Camping unterstützt.

Interessant finde ich, daß die IERPinos in Uruguay untereinander vernetzt sind und die kirchliche Zugehörigkeit insofern identitätsstiftend ist, als man darauf vertrauen kann, daß dort, wo sich junge Menschen treffen, die zu derselben Kirche gehören, einander zugehört und geholfen wird.

Es gibt noch eine kleine Debatte mit Jerónimo, als ich die Vermutung äußere, daß die jungen Leute aus Nueva Helvecia hier eine ganz andere - sehr deutsche und sehr antike - Form der Liturgie kennenlernen dürften, da sie doch aus dem von Schweizern gegründeten und sich reformiert nennenden Nueva Helvecia kommen...
Nein, das komme gar nicht in Frage, insistiert der Pastor: Da die IERP eine “unierte” Kirche sei und auch eine unierte Liturgie habe (ich sehe das anders), gebe es überall in der IERP dieselbe Gottesdienstordnung. Ich wundere mich über so viel Zentralismus in einer kongregationalistisch organisierten Kirche (wir kommen gleich darauf zurück) und auch darüber, wie man als eine sich reformiert verstehende Gemeinde einer Gottesdienstordnung zustimmen kann, in der es zwar keine gesungenen Responsorien gibt, sonst aber (abgesehen von den altpreußischen Melodien) die Liturgie jener entspricht, die wir aus der EKBO (vor dem Gottesdienstbuch) kennen, also Form I, anders gesagt: das lutherische Modell.
Wenn überhaupt, gebe es Abweichungen lediglich da und deshalb, wo und weil Pastoren schlicht nicht in der Lage seien, bestimmte Gesänge anzustimmen, behauptet Jerónimo. Ich werde das ja an Ort und Stelle miterleben und dann kommentieren, denke ich.
Am Abend dann - tatsächlich etwa pünktlich (“typisch deutsch”?) - trifft sich der Gemeindevorstand, und zwar bewußt in der kleinen Besetzung, d.h. ohne die Stellvertreter. Mich mitgezählt, sitzen sieben Personen am Tisch.
Wie bei uns hat es eine ordentliche Einladung gegeben. Wie bei uns beginnt die Sitzung mit einem geistlichen Impuls - allerdings ist hier stets der Pfarrer dafür zuständig, und es wird üblicherweise ein kurzer Text aus den “täglichen Lesungen” zu Gehör gebracht.

(Das Foto hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Thema zu tun - aber ich fand es unwiderstehlich: Ein anatomisches Herz auf einer Hauswand und die Worte Nimm es oder laß es - aber “laß es” heißt “laß es”!)
Im Unterschied zur EKBO - nein, wie ich mit Staunen erfahre: auch zur IERP - hat der Pastor in der Gemeindeleitung kein Stimmrecht. So weit geht die Unabhängigkeit der einzelnen Gemeinden innerhalb der IERP dann doch, daß dies abweichend geregelt werden kann! Er hat zwar kein Stimmrecht, aber seine Stimme hat - das ist deutlich zu merken - das größte Gewicht. Außerdem wird überhaupt nicht abgestimmt, sondern Einvernehmen gesucht und - soweit möglich - hergestellt.
Wieder gleich und doch anders ist die Protokollanz geregelt: Es gibt eine dafür zuständige Sekretärin. Wie man das auch in der EKD kennt und handhabt, wird zunächst das Protokoll der vorangegangenen - schon etwas zurückliegenden - Sitzung durchgegangen und einzelne Formulierungen nachgebessert; förmlich beschlossen wird das Protokoll jedoch nicht.
Es folgt der ausführliche Bericht der Vizepräsidentin von einem Gespräch mit der deutschen Honorarkonsulin, deren Amtssitz in Punta del Este ist. Man wünscht dort, wo es besonders viele Deutsche gibt, mehr Präsenz der Deutschen Evangelischen Gemeinde. Allerdings - so erläutert es mir Jerónimo am heutigen Morgen abermals - ist nicht nur “vergessen” worden, die Finanzierung von häufigeren Gottesdiensten und Gemeinde-Events anzusprechen, es gibt überhaupt nur sehr wenige zahlende Mitglieder in dieser (wenn man es freundlicherweise so nennen möchte) Filiale der CEAM.
Neben anderen kleinen Punkten geht es auch um die prekären Gemeindefinanzen, ein Thema, das nun - eine neue Politik der neuen Gemeindeleitung - offen kommuniziert wird. Der Schatzmeister hat einen kurzen und überdeutlichen Brief verfaßt, den er den Versammelten vorliest und dafür Zustimmung erntet. Die Vorsitzende ihrerseits hat auch einen Brief entworfen, der ausführlicher ist und mehr erklärt, z.B. den Wegfall sowohl jeglicher Unterstützung seitens der EKD seit Mitte vorigen Jahres als auch die erhebliche Kürzung von Zuschüssen aus Buenos Aires.
Ob eine Kombination beider Briefe möglich sei, wird diskutiert. Ich spreche mich dafür aus, den Brief des Schatzmeisters an die eingeschriebenen Mitglieder zu versenden und jenen der Präsidentin auf der Website zu veröffentlichen. Jerónimo hält das für gefährlich, weil jeder herauslesen könnte, was er mag. Eine abschließende Abstimmung findet nicht statt.

Eine nächste Sitzung (diese hier überschreitet doch leicht den vorgegebenen Zeitrahmen) soll erst nach dem Besuch der Familienangehörigen von Karin Lüdorf, also nach dem 15. März, stattfinden.
Dies bleibt ebenso in der Schwebe wie die letzte Festlegung hinsichtlich des Weltgebetstages. Das mag verwundern; aber hier weiß man mit derartigen Unsicherheiten  umzugehen.
Der Pastor beendet den offiziellen Teil mit einem Gebet, nachdem der Tisch bereits abgeräumt ist (es gab nicht nur Getränke, sondern auch eine von der Sekretärin mitgebrachte Quiche), um kurz vor halb zehn.

14. Februar

Herzlichen Glückwunsch!

Heute begeht man hierzulande den "Día de los enamorados" - bei uns als "Valentinstag" bekannt. Manche halten es für eine clevere Erfindung der Blumenhändler; aber ich möchte allen Glück wünschen, die verliebt sind.

Und dann natürlich herzlichen Glückwunsch meiner lieben Schwiegermutter zum Geburtstag: Glück und Segen im neuen Lebensjahr, liebe Renate!

Hier das Beweisfoto in hochoffizieller Vereinsbekleidung: Ich konnte am Mittwoch endlich mal wieder rudern gehen.

Heute, am Donnerstag, fahre ich nach Paysandú und habe noch nicht entschieden, ob der Rechner mitkommt. Man wird sehen - denn ohne dies Gerät wird es keine neuen Blogeinträge geben vor nächsten Montag.

NACHTRAG in Beantwortung des Kommentars:

Soweit ich es bisher überblicke, sind die meisten Gemeindeglieder deutschstämmige Auswanderer bzw. deren Nachfahren. Kaum scheint es Leute zu geben, die hier als Firmenangehörige auf Zeit leben und am Gemeindeleben teilnehmen. (Solche Leute gibt es zwar, aber sie tauchen anscheinend - bisher zumindest - weder im echten Leben noch in Berichten auf.) Zunehmend gibt es Ur-Uruguayos, die ausschließlich Spanisch sprechen und sich aus unterschiedlichen Gründen für diese Gemeinde interessieren, wobei vermutlich ausschlaggebend ist, daß es sich um eine evangelische Gemeinde handelt; weshalb es dann aber nicht die Waldenser sind, sondern die CEAM ist, wozu sie tendieren, muß ich noch versuchen zu ergründen.

Montag, 18. Februar:

Ich habe beschlossen, den Blog "Uruguay 2" nicht fortzuführen. Weiteres ist auf dem Blog "Uruguay 3" nachzulesen.

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